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Call for Papers für die Jahrestagung 2002
der Gesellschaft für Wissenschafts- und Technikforschung

am 29. und 30. November in Berlin

Beobachten, Lesen, Befragen

Empirische Zugänge der Wissenschafts- und Technikforschung zu ihrem Gegenstand



In der Wissenschafts- und Technikforschung werden die sozialwissenschaftlichen Methoden in besonderer Weise herausgefordert, weil sie eine hochspezialisierte, häufig geradezu esoterische Praxis erkunden und ihre Erklärung ermöglichen sollen. Diese Praxis auszuüben setzt ein aufwendiges mehrjähriges Training (ein Hochschulstudium) voraus. Die Handlungen im Feld werden außerdem durch Objekte und Artefakte in einer Weise beeinflusst, die wiederum nur aus der speziellen, im Training erworbenen Perspektive nachvollziehbar scheint. Mit anderen Worten: Forschung und Technikentwicklung sind soziale Praktiken, die besondere Barrieren für das sozialwissenschaftliche Verstehen errichten.

Oder scheint das nur so? Sitzen wir bereits den durch Wissenschaft und Technik zum Selbst-schutz konstruierten Beschreibungen auf, wenn wir solche Barrieren sehen? Können Wissen-schaft und Technik empirisch genauso behandelt werden wie Praktiken, die dem Alltags-verständnis der Sozialwissenschaften zugänglich sind?

Unsere Jahrestagung soll dem interdisziplinären Erfahrungsaustausch von Wissenschafts- und TechnikforscherInnen über methodische Probleme ihrer empirischen Forschung dienen. Dieser Vorschlag wurde durch die Beobachtung motiviert, dass sich die disziplinär geprägten Vorgehensweisen in der Wissenschafts- und Technikforschung einander in zwei Dimensionen annähern. Wissenschafts- und techniksoziologische Studien haben schon immer auch auf Re-konstruktionen historischer Prozesse zurückgegriffen; auf der anderen Seite wächst das Inter-esse der Wissenschafts- und Technikgeschichte an zeithistorischen Untersuchungen. Neben dieser partiellen Annäherung von soziologischer und historischer Forschung beobachten wir auch eine Annäherung von Wissenschafts- und Technikforschung: Beide setzen dieselben em-pirischen Methoden ein und haben häufig auch einen gleichen Gegenstand – wissenschaftsba-sierte Technologien oder technologiebezogene Forschung.

Vor diesem Hintergrund scheint es reizvoll, gemeinsame Probleme und spezifische Zugänge der empirischen Forschung herauszuarbeiten. Folgende Fragenkomplexe sollen dabei im Vor-dergrund stehen:

1) Natur- und technikwissenschaftliches Verstehen: Eine Frage, der die Wissenschafts- und Technikforschung nicht ausweichen kann, ist die nach dem methodischen Stellenwert des Inhaltes der untersuchten Praktiken. In welchem Maße müssen wir Forschung und Technik-entwicklung natur- bzw. technikwissenschaftlich verstehen, um sie sozialwissenschaftlich erklären zu können? Diese Frage wird nur selten explizit diskutiert. Die darauf möglichen un-terschiedlichen Antworten haben aber erhebliche methodische Konsequenzen. Haben z.B. Natur- und Technikwissenschaftlerinnen bessere Chancen, sozialwissenschaftliche Erklärun-gen zu finden, als SozialwissenschaftlerInnen, die Laien auf dem untersuchten Gebiet sind? Wie können wir unser Feld naturwissenschaftlich verstehen und mit unseren sozialwissen schaftlichen Methoden die dennoch notwendige Distanz zur &Mac226;Eigenlogik‘ des Feldes herstellen?

2) Rolle von Zeitzeugen und Praktikern: Wissenschaftler und Ingenieure konstruieren eigene Erklärungen ihres Handelns, in denen natur- und technikwissenschaftliche Zusammenhänge eine zentrale Position einnehmen. Das Aufeinanderprallen dieser im Feld generierten Erklärungen und der sozialwissenschaftlichen Interpretationen von Forschung und Technik-entwicklung birgt Konfliktstoff, wenn die Erklärungen der Untersuchten auf die Erklärungen der Untersuchenden treffen. Wissen die Beteiligten es immer besser? Wann glauben wir Wis-senschaftlern und Ingenieuren und wann nicht?

3) Empirische Untersuchung von Natur, Wissen und Artefakten: In Forschung und Tech-nikentwicklung sind Natur und 'hart gewordene' Resultate sozialer Konstruktionsprozesse wichtige Einflussfaktoren, an denen Handlungen ausgerichtet werden. Wissenschaftler benut-zen solche Faktoren, um ihre Praktiken zu erklären. Die Wissenschafts- und Technikforschung hat eine Reihe von Konzepten entwickelt, um diese Phänomene theoretisch und methodologisch in den Griff zu bekommen (Nichtmenschliche ‘Aktanten’, Latour; die 'Mangle of Practice', Pickering; oder 'Experimentelle Interaktivität', Rammert). Damit sind aber die methodischen Probleme der empirischen Erhebung solcher Phänomene noch nicht ausgeräumt. Wie identifiziert man die relevanten 'Sachverhältnisse' (Joerges), wie beschreibt man sie so, dass sie in sozialwissenschaftliche Erklärungen integrieren kann? Brauchen wir eine "Scientographie" und eine "Technographie" (Braun), d.h. die ‘Sachverhältnisse’ explizit be-rücksichtigende Beobachtungs- und vielleicht auch Interviewmethoden? Gibt es prinzipielle Grenzen unserer Erhebungsmethoden bei der Behandlung dieser Faktoren?

4) Quantitative Methoden: Die Wissenschafts- und Technikforschung hat einen ganz eigenen quantifizierenden Zugang zur Analyse von Publikationen und Patenten hervorgebracht: die Bibliometrie. Getrieben durch wissenschaftspolitische Bedürfnisse und hier vor allem durch das wachsende Bedürfnis nach Evaluationen, sind in diesem Bereich ausgefeilte Methoden für das Studium von Beziehungen zwischen Wissenschaftsgebieten sowie zwischen Wissenschaft und Technik, von kognitiver Mobilität und des Einflusses von Individuen, Gruppen, Institutionen und Ländern in wissenschaftlichen Spezialgebieten entstanden Wie tragen diese empirischen Methoden zum Verstehen von Praktiken in Wissenschaft und Technik bei? Unter welchen Bedingungen können sie eingesetzt werden, welche Fragen können sie beantworten?

5) Die genannten methodologischen und methodischen Probleme sind auch für den gesellschaftlichenUmgang mit Wissenschaft und Technik relevant. Die Einbeziehung von Wis-senschaft und Technik in Wissensprozesse wie z.B. Mediationsverfahren oder Wissenschafts- bzw. Technikfolgenabschätzung kann auf ähnliche Schwierigkeiten stoßen wie ihre Erfor-schung: Welcher Status wird Naturwissenschaftlern und ihrem Wissen eingeräumt, wenn sie als Experten in Entscheidungsprozesse einbezogen werden? Wie werden das heterogene Wissen und konfligierende Interpretationen integriert?

Wir laden Wissenschafts- und TechnikforscherInnen, Natur- und TechnikwissenschaftlerInnen und &Mac226;Mittler‘ zwischen den Kulturen ein, ihre Erfahrungen zur Diskussion zu stellen.

Abstracts für Beiträge sollten bis zum 30. Juni eingesendet werden an:
Gesellschaft für Wissenschaftsforschung e.V. (GWTF)
<joerg.struebing@tu-berlin>

Für das W3 aufbereitet: Karl.Pfeiffer@iwp.uni-linz.ac.at

Erstellt am 29 JAN2002 | zur Startseite http://www.iwp.uni-linz.ac.at/lxe/agkpiw/

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